APOTHEKENKAUF


Kriterien der Standortbewertung



Vielen Kaufinteressenten einer Apotheke fällt es schwer, neben der Analyse der betriebswirtschaftlichen Daten auch eine kritische Standortbewertung vorzunehmen. Warum ist dies wichtig? Auch wenn Umsatzhöhe und Umsatzstruktur im Wesentlichen den Kaufpreis beeinflussen, ist gerade das Umfeld der Apotheke langfristig für deren wirtschaftliche Entwicklung relevant. Vereinfacht gesagt: Umsatzzahlen bieten einen Blick in die Vergangenheit. Die Zukunft wird von den Standortfragen bestimmt. Die Antworten hier entscheiden darüber, ob die Zahlen reproduziert werden können. 


Dabei geht es einerseits um unmittelbar bevorstehende Ereignisse im direkten Umfeld der Apotheke, die eine gravierende Veränderung der wirtschaftlichen Situation induzieren könnten, wie z.B. der Wegzug von Ärzten, eine andere Verkehrsführung, drohende Baustellen, der Verlust von Frequenzbringern oder eine sonstige Verlagerung von Kundenströmen. Zum anderen geht es aber auch um die Einschätzung langfristiger Entwicklungen im Einzugsgebiet. Dazu gehören die demografische Entwicklung, z.B. der Wegzug jüngerer Menschen, ein Generationenwechsel in Wohngebieten oder die Ausweisung neuer Siedlungsflächen, weiterhin die lokale Kaufkraft, das Arbeitsplatzangebot, besondere urbane Milieus mit speziellen Bedürfnissen, kommunale Planungen und nicht zuletzt eine Einschätzung der Wettbewerbssituation. Diese Stichworte verdeutlichen die Bedeutung einer detaillierten Standortbewertung.


Im Grunde verhält es sich mit Apotheken nicht anders wie mit ganz normalen Immobilien. Die drei wichtigsten Parameter für die Standortbewertung sind Lage, Lage und nochmals Lage. Im Klartext: Wie ist die Lage zu den Ärzten, zu den Patienten bzw. Kunden und zum übrigen Einzelhandel? Letzteres meint die Erreichbarkeit, das Einzugsgebiet, eine mögliche Zentrenstruktur oder den Bekanntheitsgrad des Standortes. Jeder dieser Faktoren trägt für sich genommen zum wirtschaftlichen Erfolg eines Betriebes bei und sollte vor dem Kauf sorgfältig geprüft werden. Gerade die letzten Pandemiejahre haben im Negativen gezeigt, wie fragil gewachsene Strukturen sind und wie schnell sich alles ändern kann. Im Positiven haben sie die Wahrnehmung für Veränderungen geschärft und manchen vorsichtiger in seinen Entscheidungen werden lassen. 


Wie geht es nun weiter? Generell sind Ärzte immer noch die beste Basis für den Erfolg einer Apotheke. Sie generieren nicht nur die Frequenz, sondern „qualifizieren“ den Standort in Sachen Gesundheitskompetenz, am besten im Verbund mit der Apotheke. Dass nicht alle Fachrichtungen gleich gut auf das Konto der Apotheke einzahlen, ist bekannt. Anhand der Abrechnungsdaten lassen sich jedoch gute Einschätzungen vornehmen. Wichtig ist es, die Zukunftsfähigkeit der Arztpraxen zu überprüfen. Gerade in Großstädten sind Fachärzte mit Vorsicht zu bewerten, da sie nicht selten überwiegend Überweisungen ausführen und die Patienten deshalb keine Bindung zur Apotheke entwickeln, weil sie das Rezept lieber in „ihrer“ Apotheke zu Hause einlösen. Anders verhält es sich, wenn die Menschen dort zum Arzt gehen, wo sie wohnen. Als kritisch erweist sich mitunter, wenn Fachärzte mit hohem Verschreibungsvolumen in ihrer Praxis kein optimales Arbeitsumfeld vorfinden. Dann besteht eine latente Abwanderungstendenz an einen günstigeren Standort. Vor allem in der Stadt ist ein Umzug mit gravierenden Folgen für die Rezepteinlösung verbunden - auch im lokalen Umfeld.


Welche Rolle spielt der Wohnort der Kunden für die Apotheke? Wie lassen sich die verschiedenen Standorttypen klassifizieren? Grob gesagt gibt es Stadtapotheken, Landapotheken und vieles dazwischen. Allein in der Stadt gibt es mindestens vier Untervarianten dieses Rasters. Die Apotheke in der Innenstadt, die Apotheke im Stadtteil, die Apotheke am Stadtrand und dazu noch einige Sonderformen, die Apotheke am Bahnhof oder am Flughafen. Wie unsere Innenstädte in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren aussehen werden, ist ein heiß diskutiertes Thema im Einzelhandel. Häufig gleichen die vertretenen Theorien eher einem Blick in die Glaskugel als einer fundierten Analyse. Fakt ist: Es herrscht viel Unsicherheit. Wenig ist sicher. Gehen wir noch einkaufen oder lassen wir uns alles nach Hause liefern? Welche Anstrengungen muss der Nahversorger unternehmen, um die Kunden an sich zu binden? Gibt es demnächst eine Kaffeebar in der Apotheke oder vielleicht doch die VR-Brille auf dem Kopf, um mit dem Kunden adäquat zu kommunizieren? Euphorisch über die Zukunftschancen des innerstädtischen Handels ist derzeit niemand. Einige Geschäfte in der Innenstadt haben während Corona für immer geschlossen, weil der abrupte Abbruch der Kundenströme mit den laufenden Kosten nicht aufgefangen werden konnte. Ein Rückgang der Mieten in den 1A-Lagen ist eher unwahrscheinlich. Zu viele Filialisten mit Mischkalkulationen stehen in den Startlöchern oder sind gerade erst entstanden, um die Flächen zu erobern. Nur wenige Hochfrequenzlagen werden diese Entwicklung überleben. Anders sieht es in den Stadtteilen oder Randlagen aus. Je mehr sich das Homeoffice als Arbeitsform dauerhaft etabliert, desto attraktiver werden städtische und stadtnahe Wohnlagen. Gerade die Speckgürtel um die Metropolen erfahren dadurch eine spürbare Aufwertung. Hier sind häufig auch die Ärzte angesiedelt. Es lohnt sich, nach solchen Standorten Ausschau zu halten und die Potenziale abzuschätzen. 


Was ist mit den Landapotheken? Klassische Landapotheken haben in der Regel den Vorteil, dass ihre Standortfaktoren stabiler sind. Dies gilt auch für Ärzte, es sei denn, es steht ein Generationswechsel an. Dann ist Vorsicht geboten. Viele Arztpraxen finden keinen Nachfolger. Bei der Wohnbevölkerung kann von einer gewissen Kontinuität ausgegangen werden. Es sei denn, in der Region bahnt sich ein größerer Strukturwandel bei den Arbeitsplätzen an. Ob und inwieweit ein Standort in zentraler Lage gefährdet ist, wenn im Umland Einzelhandelsbetriebe schließen, muss im Einzelfall geprüft werden. Dabei spielt natürlich auch die direkte Konkurrenzsituation eine entscheidende Rolle. Welche Veränderungen sich hier abzeichnen, kann entscheidend sein. Insgesamt ist die Situation auf dem Land überschaubarer, aber die Grenzen sind auch enger. Ganz zu schweigen von weichen Faktoren wie Arbeitskräfteangebot und Notdienstbelastung. 


Bei Flughafen- oder Bahnhofsflächen ist es schwierig, allgemeingültige Regeln zu formulieren. Jedes Objekt muss individuell bewertet werden. Wie ist die Frequenz, die Verweildauer, die Umsteigerquote (Hub-Charakter), die Größe der Mietfläche, die Öffnungszeit, die Erreichbarkeit, die Ärztedichte?


Diese Aufzählung führt zum dritten Standortkriterium oder besser zu einem Standorttyp, der einmal weder Ärzte noch Menschen in seiner Umgebung voraussetzte und trotzdem erfolgreich sein wollte.


Eine Zeit lang galten Center-Apotheken in guter Lage als das Nonplusultra der Branche. Nahe bei den Kunden, die ihre täglichen Einkäufe erledigen, umgeben von einer Reihe anderer Einzelhandelsgeschäfte, konnte die hohe Kundenfrequenz am Standort den Ärztemangel kompensieren. Mehr noch: Durch Marketingaktionen, längere Öffnungszeiten und ein breites Sortiment der Hauptakteure im Center konnte die Apotheke wie mit Rückenwind von der Kundenfrequenz profitieren, ohne unbedingt selbst groß werben zu müssen.


Nicht erst seit Corona ist die Attraktivität solcher Standorte stark in die Diskussion geraten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Traditionell liegt ein größerer Umsatzanteil von Center-Apotheken im Barverkauf. Dieses Geschäft schwächelt, weil die Kunden zunehmend im Online-Shop einkaufen. Auch nach der Pandemie. „Der Preis ist heiß“, lautet die Devise. Das drückt zusätzlich auf die Marge und große Skaleneffekte wie früher beim Wareneinkauf sind auf Apothekenseite nicht mehr zu erzielen. 

Das klassische Center mit einem großflächigen Ankermieter, der dem Kunden ein breites Sortiment anbietet, also das Warenhaus auf der grünen Wiese, ist mehr und mehr ein Auslaufmodell. An seine Stelle treten Spezialisten für einzelne Warensegmente. Der Frischemarkt, der Drogeriemarkt, der Elektromarkt und zur Abrundung ein namhafter Discounter. Eine erfolgreiche Apotheke in dieser Konstellation zu platzieren, ist schwierig. Die früher üblichen Parameter zur Klassifizierung einer guten Centerlage in Bezug auf den Ankermieter, wie Entfernung zur Kassenzone, Anzahl der Bons und Bondurchschnittswert, Stärke der Sortimentsausrichtung auf den täglichen Bedarf, haben sich durch die räumliche Trennung der Flächen völlig aufgelöst. Oder anders ausgedrückt: Folgt man den oben genannten Indikatoren, müsste man einen solchen Standort ablehnen. Die Apotheke wird zum Einzelkämpfer. Sie profitiert eben nicht mehr vom Zusammenspiel der Laufwege und muss notgedrungen selbst Frequenz erzeugen. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Die wenigsten Kunden gehen aktiv auf eine Apotheke zu, wenn sie nicht zwangsläufig daran vorbeikommen. Trotzdem kann die Frequenz an solchen Standorten etwas höher sein als im Durchschnitt, aber der Umsatz pro Kunde ist deutlich geringer. Rezepte sind schwer zu bekommen. Sobald die Apotheke also um ihre Frequenz kämpfen muss, weil die Ärzte und die notwendige Wohnbevölkerung fehlen, wird das wirtschaftliche Überleben schwierig. Die Marke „Apotheke“ allein hat an einem solchen Standort keine besondere Strahlkraft und der Aufbau einer individuellen „Unique Selling Position“ (USP) gehört nicht zu den pharmazeutischen Kernkompetenzen. Diese Einschätzung gilt natürlich nicht pauschal. Wenn am Ende im Ort keine Einkaufsstruktur mehr vorhanden ist, weil sich alles vor der Haustür auf der grünen Wiese abspielt, ist auch für die Apotheke ein Standortwechsel wahrscheinlich besser als ein starres Festhalten am klassischen Milieu.


Es gibt also viele Aspekte, die bei der meist langfristigen Bindung an einen Standort zu berücksichtigen sind, wenn man erfolgreich sein will. Mit den hier gemachten Ausführungen fällt die Entscheidung vielleicht leichter.